Martin Behnisch, Tobias Krüger und
Jochen Jaeger
Zusammenfassung
Die hohe Flächenneuinanspruchnahme in Deutschland wurde kürzlich vom Sachverständigenrat für Umweltfragen als persistentes
Umweltproblem benannt. Zur Bewertung der räumlichen Anordnung und der Ausnutzung der neu in Anspruch genommenen Flächen eignen sich
multidimensionale Indikatoren. Hierfür hat sich die Messgröße der landschaftsorientierten Zersiedelung (WUPP) international
etabliert. Erst über längere Zeiträume (Jahrzehnte) und mit Trendfortschreibungen in die Zukunft werden die ökologischen, ökonomischen
und sozialen Folgen sowie irreversible Schäden infolge der Zersiedlung sichtbar. Neue innovative Produkte der Fernerkundung wie der
Global Human Settlement Layer (GHSL) haben die Möglichkeiten zur Beobachtung und Bewertung von Prozessen der Zersiedelung über lange
Zeiträume verbessert. Der Beitrag zeigt eine räumliche Analyse der deutschen Planungsregionen hinsichtlich deren Zersiedelung in den
Jahren 1990, 2000 und 2014 sowie hinsichtlich von Trends und Trendänderungen der Zersiedelung. Zwischen 1990 und 2014 hat die
Zersiedelung in Deutschland jährlich um durchschnittlich 1,45 % zugenommen. Viele Planungsregionen in Deutschland sind von hohen Werten
der Zersiedelung betroffen. Im Zeitraum 1990 – 2000 betrug die jährliche prozentuale Zunahme von WUPP im Durchschnitt 1,81 %
und im Zeitraum 2000 – 2014 noch immer 1,20 %. Bezogen auf die einwohnerorientierte Zersiedelung (WSPC) lag die jährliche prozentuale
Zunahme im Durchschnitt im zweiten Zeitraum auf ähnlichem Niveau wie im ersten Zeitraum (1990 – 2000: 1,44 % p. a. und 2000 – 2014:
1,31 %; insgesamt 1990 – 2014: 1,36 %). Von einer grundlegenden Trendumkehr hin zu weniger Zersiedelung kann auf Basis der empirischen
Befunde nicht gesprochen werden. Es besteht dringender Handlungsbedarf zur Eindämmung des Problems mit dem Ziel einer nachhaltigen
Landnutzung als einem der wichtigsten Schlüssel für die Große Transformation.
Zersiedelung – Siedlungsflächenentwicklung – Fernerkundungsdaten – Global Human Settlement Layer – PlanungsregionenAbstract
The German Advisory Council on the Environment recently identified the high level of land take as a persistent environmental
problem. Multidimensional indicators are suitable for assessing the spatial arrangement and degree of utilisation of newly taken-up
areas. For this purpose, the measure of weighted urban proliferation (WUPP) is an internationally established approach. The
ecological, economic and social consequences of urban sprawl and irreversible damage can be detected only over long periods of time
(decades) and by extrapolating current trends into the future. New innovative remote sensing products such as the Global Human
Settlement Layer (GHSL) have improved the possibilities for observing and evaluating urban sprawl over long periods of time. This paper
presents a spatial analysis of the German planning regions with regard to their degree of urban sprawl in the years 1990, 2000 and 2014
as well as their trends and changes in trends of urban sprawl. Between 1990 and 2014, urban sprawl in Germany increased on average by
1.45 % per year. Many planning regions in Germany are affected by high levels of sprawl. In the period from 1990 to 2000, the average
annual percentage increase in WUPP was 1.81 %. In the period from 2000 to 2014 it was still 1.20 %. In terms of
inhabitant-oriented sprawl (WSPC), the average annual percentage increase in the second period was at a level similar to that in the
first period (1990 – 2000: 1.44 % p. a.; 2000 – 2014: 1.31 %; overall 1990 – 2014: 1.36 %). Based on the empirical findings presented
here, we can not speak of a trend reversal towards lower levels of urban sprawl. There is an urgent need for action to mitigate this
issue, considering that sustainable land use is one of the most important keys for a comprehensive sustainability
transformation.
Urban sprawl – Settlement development – Remote sensing data – Global Human Settlement Layer – Planning regionsInhalt
1 Einleitung
In einer post-fossilen und von erneuerbaren Energien geprägten Zukunft entstehen erhebliche Flächenkonkurrenzen zwischen der
Nahrungsmittelproduktion (Acker- und Grünland), der Energiegewinnung (Flächen für Energiepflanzenanbau, Windparks und
Photovoltaikfreiflächenanlagen) und dem Bedarf nach Siedlungs- und Verkehrsflächen (Haber
2007; Jaeger et al. 2018). Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) benennt
die hohe Neuinanspruchnahme unbebauter Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke angesichts geringer Trendverbesserungen in den
vergangenen Jahrzehnten als ein persistentes Umweltproblem in Deutschland (SRU 2016: 241,
2018: 7), denn bereits 1985 hatte die deutsche Bundesregierung eine „Trendwende im
Landverbrauch“ und eine „Trendwende bei der Zerschneidung und Zersiedlung der Landschaft“ gefordert (Bodenschutzkonzeption, BMI 1985). Im Gegensatz zur Situation bei vielen anderen Umweltproblemen ist die Akzeptanz von
Gegenmaßnahmen, die Einschränkungen oder Verzicht auf Flächenneuinanspruchnahme bedeuten, oftmals nur eingeschränkt gegeben, denn sie sind
in ihrer Notwendigkeit und ihrem Nutzen für die Wirtschaft und Zivilgesellschaft nur schwer vermittelbar. Daher ist ein erhöhter
Kommunikationsaufwand nötig (Jänicke, Volkery 2001: 50).
Die Flächenneuinanspruchnahme ist ein vielschichtiges Umweltproblem. Es folgt keinen monokausalen Verursacherprinzipien
und kann nur durch ein Bündel von Einflussgrößen erklärt werden (Hersperger, Bürgi 2009;
Kretschmer et al. 2015; Colsaet et al. 2018;
Siedentop 2018). Ein bemerkenswertes Phänomen besteht in Deutschland darin, dass die
Neuinanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke in vielen Regionen mit abnehmender Bevölkerung steigt, während sie in Regionen mit
Bevölkerungswachstum relativ gering ausfällt (SRU 2016: 12). Relevante Einflussgrößen sind
nicht nur die Unterschiede in den Miet- und Bodenpreisen, denn oft ist Flächenausweisungspolitik erstaunlich freizügig – in der Hoffnung
auf eine Bevölkerungs- und Arbeitsplatzzunahme und eine damit verbundene Steigerung der Steuereinnahmen (SRU 2016: 252).
Bei der Verabschiedung der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2002 hatte die Bundesregierung ursprünglich das Ziel
vorgegeben, den durchschnittlichen täglichen Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche bis zum Jahr 2020 in Deutschland auf 30 ha zu
reduzieren. Nachdem sich abzeichnete, dass dieses sog. 30-Hektar-Ziel bis 2020 nicht realisierbar sein würde, wurde es in der Neuauflage
der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie von 2016 auf das Jahr 2030 verschoben, allerdings mit der Ergänzung, die Flächenneuinanspruchnahme
im Durchschnitt auf „weniger als 30 Hektar pro Tag“ zu reduzieren (Bundesregierung 2017: 159).
In Bezug auf die bestehenden staatlichen Maßnahmen zur Trendverbesserung im Sinne einer nachhaltigen Flächennutzung führt die alleinige
Orientierung an einem quantitativen Ziel zur Begrenzung der Flächenneuinanspruchnahme (deutschlandweiter Durchschnittswert in ha pro Tag)
zu einer reinen Mengenbetrachtung, ohne die räumliche Anordnung und den Grad der Ausnutzung der neu in Anspruch genommenen Flächen zu
berücksichtigen. Die von der Bundesregierung weiterentwickelte Neufassung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie von 2021 behandelt das
Thema Flächeninanspruchnahme mit drei Indikatoren (Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche, Freiraumverlust pro Kopf und
Siedlungsdichte), jedoch wurde ein Indikator zur Quantifizierung der Zersiedelung nicht mit aufgenommen (Bundesregierung 2021).
Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt legte bereits im Jahr 2007 als ein Ziel die Entwicklung eines geeigneten
Zersiedelungsindikators „bis Ende 2008“ fest (BMU 2007: 130). Verschiedene Ansätze wurden
daraufhin für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorgeschlagen (Ackermann, Schweppe-Kraft
2010; Siedentop, Fina 2010; Fina
2013: Anhang B-3). In der Schweiz wird seit geraumer Zeit der Indikator der gewichteten Zersiedelung (Jaeger, Schwick 2014) vom Bundesamt für Umwelt offiziell im Rahmen des nationalen
Landschaftsmonitorings LABES verwendet (Kienast et al. 2015). Dieser Indikator ist
mittlerweile auch für Deutschland sowohl im Monitor der Siedlungs- und Freiraumentwicklung des Leibniz-Instituts für ökologische
Raumentwicklung (IÖR; https://www.ioer-monitor.de/) als auch im Umweltatlas des
Umweltbundesamtes (UBA;https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltatlas) verfügbar. Der Indikator basiert auf einer klaren Definition des
Zersiedelungsbegriffs (urban sprawl; Jaeger et al. 2010) und liefert eine Grundlage für Ziele
und Grenzwerte (Schwick et al. 2018), die auch für weitere amtliche Raumbeobachtungssysteme
interessant sind. Weitere Details zu den Folgen der Zersiedelung sind in Abschnitt 1 im Online-Zusatzmaterial aufgeführt.
Vor dem Hintergrund der Debatte über Spatial Big Data (Jiang, Shekhar 2017) und der
Verfügbarkeit zahlreicher neuer Vektor- und Rasterdatensätze ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, um die räumliche Anordnung und den
Grad der Ausnutzung von Flächen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen stärker einzubeziehen und Zersiedelung in ihrer Veränderung über die
Zeit multidimensional zu analysieren. Hierzu eignen sich einerseits Produkte der Fernerkundung – z. B. Global Human Settlement Layer
(GHSL), Global Urban Footprint (GUF), World Settlement Footprint (WSF), European Settlement Mask (ESM), High Resolution Settlement Layer
(HRSL) – und andererseits neue amtliche Geobasisdatenbestände wie z. B. 3D-Gebäudemodelle, Hauskoordinaten, topographische Informationen
und Landschaftsmodelle.
Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf der Anwendung einer international anerkannten Messmethode für die Zersiedelung (Jaeger, Schwick 2014) auf die deutschen Planungsregionen. Die Methode wurde bereits von Schwarzak, Behnisch (2017) sowie Behnisch et al. (2018)
für Untersuchungen der Zersiedelung auf Ebene der Gemeinden in Deutschland angewendet und zuvor mit Testrechnungen an Geobasisdaten
erprobt (Schwarzak et al. 2014). Weitere Testrechnungen erfolgten kürzlich bereits auf Ebene
der deutschen Planungsregionen (Behnisch et al. 2021). Dieser Beitrag erfasst unter Verwendung
einer revidierten Version des GHSL die Zersiedelung auf Ebene der deutschen Planungsregionen über einen Zeitraum von ca. 25 Jahren für
drei Zeitpunkte (1990, 2000 und 2014), um die Trends der Zersiedelung und potenzielle Trendänderungen zu ermitteln. Der Fokus liegt auf
den Planungsregionen, da die regionalen Planungsträger eine entscheidende Rolle für die Siedlungsentwicklung im bundesdeutschen
Planungswesen haben. Während die übergeordneten Planungsebenen den rechtlichen Rahmen definieren – z. B. im Raumordnungsgesetz und in den
Landesentwicklungsplänen sowie in sektoralen Fachplanungen des Bundes und der Länder – ist die regionale Ebene besonders relevant für die
zeichnerische Festlegung von Planelementen und die räumliche Zuordnung von Steuerungsinstrumenten der Siedlungs- und
Verkehrsflächenentwicklung (Fina 2021: 281).
Der Beitrag untersucht die folgenden Fragen:
2 Messkonzepte und Daten zur Quantifizierung der Zersiedelung
Die meisten Definitionen für die Zersiedelung, die in der Literatur vorgeschlagen werden, berücksichtigen drei Dimensionen zur
Charakterisierung der Zersiedelung:
1. Anteil der bebauten Flächen an der Fläche des Untersuchungsgebiets,
2. räumliche Verteilung der bebauten Flächen und
In der Vergangenheit berichteten Messansätze meist nur über einzelne Komponenten der Zersiedelung (z. B. bebaute Fläche),
vernachlässigten die räumliche Anordnung oder hatten Schwierigkeiten bei deren Quantifizierung (Razin,
Rosentraub 2000; Yeh, Li 2001; Nazarnia et al.
2016), vermischten mehrere Ursachen oder Folgen der Zersiedelung mit dem eigentlichen Phänomen der Zersiedelung (Torrens 2008) oder integrierten zu viele Aspekte der Zersiedelung in einem intransparenten Index
(Frenkel, Ashkenazi 2008). Schwarzak, Behnisch
(2017) geben einen Überblick zu den bisher angewendeten Messkonzepten der Zersiedelung auf dem Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland (z. B. Ackermann, Schweppe-Kraft 2010; Siedentop, Fina 2010; Fina 2013). Da bisher keine Daten
zur Siedlungsentwicklung über einen längeren Zeithorizont (mehrere Jahrzehnte) vorlagen, ließen sich bislang auch nur begrenzt Aussagen
über den Zustand und Veränderungen der Zersiedelung in Deutschland machen.
2.1 Zwei Messgrößen für die Zersiedelung und deren Komponenten
Die Messung der Zersiedelung in diesem Beitrag nutzt die drei Dimensionen der Zersiedelung und verwendet hierbei zwei
Messgrößen:
● Landschaftsorientierte Zersiedelung = gewichtete Zersiedelung (Weighted Urban Proliferation, WUPP, mit
Index P für engl. population); Einheit: Durchsiedlungseinheiten pro Quadratmeter (DSE/m²), engl.: Urban Permeation Units per
square metre (UPU/m²); Jaeger, Schwick (2014); Hennig et al. (2015); als landschaftsorientierte Messgröße und ● Einwohnerorientierte Zersiedelung = gewichtete Zersiedelung pro Kopf (Weighted Sprawl Per Capita, WSPC); Einheit:
DSE/Einwohner, engl.: UPU/inhabitant; als Messgröße, die den durchschnittlichen Beitrag pro Einwohner (Ew.) zur Zersiedelung
beziffert (Behnisch et al. 2022).
Das Messkonzept hat eine breite Anwendung in vielen Regionen Europas und anderen Teilen der Welt erfahren (z. B. Hennig et al. 2015; EEA, FOEN 2016; Nazarnia et al. 2016; Torres et al. 2016; Jaeger et al. 2018; Schwick et al. 2018; Xie et al. 2020; Pourtaherian, Jaeger 2022). Es wurde
durch verschiedene Tests bestätigt (Orlitová et al. 2012) und erfüllt die 13 Eignungskriterien
für Messgrößen der Zersiedelung (Jaeger et al. 2010) sowie die 34 Anforderungen, die zur
Auswahl von Indikatoren für die Umweltberichterstattung von Niemeijer, de Groot (2008)
vorgeschlagen wurden. Die beiden Messgrößen und ihre Komponenten werden in Abb. 1
zusammengefasst.
Abb. 1: Zusammenhang zwischen den Messgrößen für die Zersiedelung, deren Komponenten mit ihren Gewichtungsfunktionen (w1
und w2) sowie zwei Hilfsgrößen.
Fig. 1: Relationship between the measures of urban sprawl, their components with their respective weighting functions
(w1 and w2) and two auxiliary measures.
Der Anteil der bebauten Fläche (Size of built-up area, Abuilt-up) an der Gesamtfläche einer Untersuchungseinheit
(Area of a reporting unit, Areporting unit) gibt den Überbauungsgrad (Percentage of Built-up Area, PBA) an (in
%). Der Flächenbedarf pro Person (Land Uptake per Person, LUP) enthält gemäß der ursprünglichen Definition dieser Komponente auch
die Zahl der Erwerbstätigen (Jaeger, Schwick 2014). Bislang sind allerdings konsistente
kleinräumige Daten über die Erwerbstätigen für längere Zeiträume in größeren Gebieten noch nicht verfügbar, sodass die Berechnung des
Flächenbedarfs pro Person in diesem Beitrag ausschließlich auf die Einwohnerzahlen (Number of inhabitants, Ninhab)
bezogen ist und daher mit LUPP (mit Index P für engl. population) bezeichnet ist. Analog wird in dieser Studie die
landschaftsorientierte Zersiedelung ebenfalls ausschließlich auf Einwohnerzahlen basierend bestimmt und entsprechend mit
WUPP bezeichnet. Eine ähnliche Vorgehensweise wurde in der europäischen Studie der Zersiedelung (Hennig et al. 2015; EEA, FOEN 2016) und einer globalen
Untersuchung für größere Regionen sowie 2.500 1-km²-Gitterzellen gewählt (Behnisch et al.
2022). Zwei Gewichtungsfunktionen (w1 und w2) finden Anwendung, um die Werte der räumlichen Verteilung
der bebauten Flächen (Dispersion, DIS) und LUPP so zu charakterisieren, dass Landschaftsteile, in denen die Bebauung
stärker gestreut ist, deutlicher wahrzunehmen sind (0,5 < w1(DIS) < 1,5), und Orte mit einer hohen Dichte wie z. B.
Innenstadtlagen als nicht zersiedelt betrachtet werden (0 < w2(LUPP) < 1) (Jaeger, Schwick 2014; EEA, FOEN 2016). Zur Berechnung für kleinere
Datenmengen stehen zwei ArcGIS-Tools frei zur Verfügung: Das USM Toolset auf der Website der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL
Birmensdorf (Nazarnia et al. 2016) und ein Python-Tool in der Toolbox ZonalMetrics (Walz et al. 2021; das Toolset ist frei zugänglich unter https://gitlab.com/simeonwetzel/landscape-metrics-tools).
2.2 Datengrundlagen und -aufbereitung
Die Datenbasis für diesen Beitrag bildet der Global Human Settlement Layer (GHSL) in der Fassung von 2018 (GHS-BUILT R2018A, Corbane et al. 2018). Dieser weltweit verfügbare multitemporale Siedlungsdatensatz wird vom Joint
Research Centre (JRC) der Europäischen Kommission herausgegeben. Grundlage bildet eine konsolidierte Auswertung verschiedener
Aufnahmesysteme der Landsat-Satelliten (MSS-, TM-, ETM-Sensoren) für die Jahre 1975, 1990, 2000 und 2014. Neben diesen hochaufgelösten
Daten (30 m am Äquator) zur Bebauung wird die Verteilung der Bevölkerung auf globaler Ebene mit einer räumlichen Auflösung von 250 m
bereitgestellt (GHS-POP R2019A). Der seit 2016 jährlich herausgegebene Atlas of the Human Planet (Pesaresi et al. 2016) stützt sich maßgeblich auf Daten des GHSL.
In Hinblick auf die Definition von Planungsregionen handelt es sich um regionale Planungsräume unterhalb der Landesebene, für die in
der Regel jeweils ein Regionalplan aufgestellt und bedarfsorientiert aktualisiert wird. Planungsregionen setzen sich in den meisten
Bundesländern aus mehreren Landkreisen und kreisfreien Städten zusammen. In Niedersachsen erfolgt die Regionalplanung unmittelbar auf der
Ebene der Landkreise. Die Ebene der Regionalplanung existiert daher nicht in den kreisfreien Städten Niedersachsens Delmenhorst,
Oldenburg, Wilhelmshaven, Osnabrück, Emden und Göttingen und darüber hinaus nicht in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sowie im
Saarland. Im Sinne einer flächendeckenden bundesweiten Untersuchung wurde ein Polygondatensatz erzeugt, der diese Gebietskörperschaften
ebenfalls enthält und auf einer Ebene mit den Planungsregionen darstellt. Durch Aggregation der angehörenden Gebiete (Gemeinden, Kreise)
wurde die regionale Differenzierung auf Ebene der Planungsregionen aus der Dokumentation der Verwaltungsgebiete im Maßstab 1 : 25.000
(VG25; BKG 2021) vorgenommen.
Einen Spezialfall bildet die Region Rhein-Neckar, die sich sowohl mit der Region Rheinhessen-Nahe (auf dem Gebiet der Stadt Worms)
als auch mit der Region Südhessen (auf dem Gebiet des Kreises Bergstraße) überschneidet. In diesen Fällen wurden die betreffenden Flächen
nur in die Region Rhein-Neckar einberechnet und aus den benachbarten Regionen geometrisch ausgeschnitten. Dadurch erhält man für das
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland 111 Planungsregionen (Stand 2014) bzw. mit äquivalenten Aufgaben betraute Gebietskörperschaften
(siehe Abb. F in Abschnitt 7 im Online-Zusatzmaterial).
Die siedlungsgeographischen Basisgrößen von Fläche, Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte bewegen sich zwischen 62,5 km² (Stadt
Delmenhorst) und 8.290 km² (Planungsregion Nordhessen, entspricht Regierungsbezirk Kassel), zwischen ca. 48.400 Ew. (Landkreis
Lüchow-Dannenberg) und über 5,1 Mio. Ew. (Regionalverband Ruhr – RVR) und zwischen 39 Ew./km² (Land-kreis Lüchow-Dannenberg) und
4.118 Ew./km² (Berlin) (Stand: Dezember 2019). Innerhalb der Planungsregionen werden die Trends der Zersiedelung ergänzend auf Ebene der
Gemeindeverbände (Stand: 31.12.2014, n = 4.684) räumlich differenziert.
Für alle genannten Untersuchungseinheiten wurden die Messgrößen der Zersiedelung und deren Komponenten (Überbauungsgrad, Dispersion,
Flächenbedarf pro Ew.) aus den GHSL-Daten berechnet. Für die Plausibilisierung der GHSL-Daten wurden sowohl die bebauten Flächen aus der
amtlichen Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung (FEtN) als auch die Bevölkerungszahlen der amtlichen Bevölkerungsstatistik,
die gebiets- und zensusbereinigt vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zur Verfügung gestellt wurden, verwendet
(siehe Abschnitte 4 – 6 im Online-Zusatzmaterial).
3 Ergebnisse: Zersiedelung in den deutschen Planungsregionen
Die empirischen Befunde für die deutschen Planungsregionen für drei Zeitpunkte (1990, 2000, 2014) zeigen die räumliche Verteilung der
landschaftsorientierten und der einwohnerorientierten Zersiedelung sowie der drei Komponenten (Dispersion, Überbauungsgrad und
Flächenbedarf pro Ew.). Bezogen auf ganz Deutschland und die Werte des Jahres 1990 hat die landschaftsorientierte Zersiedelung seit 1990
jährlich um 1,45 % zugenommen und die einwohnerorientierte Zersiedelung jährlich um 1,36 %.
3.1 Kleinräumiger Vergleich von WUPP und WSPC zwischen 1990 und 2014
Abb. 2 zeigt auf Ebene der kommunalen Gebietskörperschaften (Gemeindeverbände innerhalb
der Planungsregionen) die Kombination von landschaftsorientierter Zersiedelung (WUPP) und dem durchschnittlichen Beitrag pro
Ew. zur Zersiedelung (WSPC) in den Jahren 1990 und 2014. Bereiche mit hohen Zersiedelungswerten, sowohl landschafts- als auch
einwohnerorientiert, waren bereits 1990 sehr prominent in Teilen von Nordrhein-Westfalen (NRW), in den Planungsregionen Mittel- und
Südhessen sowie entlang des Oberrheins zu finden, wobei diese besonders stark betroffenen Gebiete mit der Zeit deutlich zugenommen haben
und sich 2014 auch verstärkt in Bayern und Ostdeutschland abzeichneten. Auffällig sind diese hohen Wertausprägungen auch in einigen
Großstädten bzw. in deren kernstadtnahem Umland wie z. B. in München, Berlin, Stuttgart und Hamburg.
Abb. 2: Landschaftsorientierte Zersiedelung (WUPP) und einwohnerorientierte Zersiedelung (WSPC) in Deutschland 1990
und 2014 auf der Ebene von Gemeindeverbänden mit überlagerten Grenzen der Planungsregionen. Die Klassifikation erfolgte über eine
kombinierte WUPP-WSPC-Farbmatrix. Die Zahlen in der Farbmatrix der Legende zeigen die Zahlen der zugeordneten
Gemeindeverbände.
Fig. 2: Landscape-oriented sprawl (WUPP) and inhabitant-oriented sprawl (WSPC) in Germany in 1990 and 2014 at the
level of municipal associations with planning region boundaries superimposed. Classification was done using a combined
WUPP-WSPC colour matrix. The numbers in the colour matrix of the legend indicate the numbers of respective municipal
associations.
In zahlreichen Planungsregionen Mecklenburg-Vorpommerns, Schleswig-Holsteins sowie in der flächengrößten Planungsregion Nordhessen
zeigt sich in beiden Karten ein charakteristisches divergierendes Muster von hoher Zersiedelung in den größeren Zentren und geringeren
Ausprägungen im weiteren ländlichen Umland. Abb. G und H in Abschnitt 7 im Online-Zusatzmaterial zeigen Differenzenkarten zu den absoluten und relativen Veränderungen der Zersiedelung
zwischen 1990 und 2014, um deren räumliches Muster für die beiden Messgrößen (WUPP, WSPC) gesondert zu visualisieren.
Die enorme Verschiebung hin zu einer stärkeren Zersiedelung wird auch besonders deutlich bei der Betrachtung der Farbmatrizen in
Abb. 2, die für jede Klasse von Zersiedelungsgraden die Anzahl der jeweils betroffenen
Gemeindeverbände ausweisen. So belief sich z. B. die Anzahl der Gemeindeverbände mit sehr hohen landschaftsorientierten und
einwohnerorientierten Zersiedelungswerten in Deutschland (dunkelviolette Einfärbung) im Jahr 1990 auf 633 (entspricht einem Anteil von
14,16 % bei insgesamt 4.470 Gemeindeverbänden) und stieg im Jahr 2014 auf 1.260 Gemeindeverbände (entspricht einem Anteil von 28,19 %).
Dementsprechend enthalten weitaus mehr Planungsregionen nun Gemeindeverbände mit hoher oder sehr hoher Zersiedelung.
3.2 Planungsregionen im Vergleich der Messgrößen für Zersiedelung und deren Komponenten
Abb. 3 zeigt die Messgrößen der Zersiedelung und deren Komponenten in den
Planungsregionen in den Zeitschnitten 1990 und 2014 und deren Veränderungen im Zeitraum von 25 Jahren (1990 – 2014). Die Klassen
entsprechen den Quartilen, d. h. jede Klasse enthält 25 % der Planungsregionen. Dadurch werden Verschiebungen in der räumlichen Verteilung
relativ niedriger und relativ hoher Werte erkennbar. Die landschaftsorientierte Zersiedelung zeigte sowohl 1990 als auch 2014 hohe Werte
in zahlreichen westlichen und südlichen Planungsregionen von NRW über Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg. Auch die
Planungsregionen Osnabrück, Oldenburg, Hamburg, Bremen, Berlin, Oberes Elbtal-Osterzgebirge, Nürnberg und München traten im Jahr 2014
durch höhere Zersiedelung hervor. Vergleichsweise hohe Veränderungen der Zersiedelung im Zeitraum 1990 – 2014 erfolgten u. a. in den
Regionen des RVR, Rhein-Neckar, Köln, Düsseldorf sowie in Bremen und Hamburg. Im Zeitvergleich wird deutlich, dass 1990 bereits
50 Planungsregionen als hoch bis sehr hoch zersiedelt indiziert wurden, im Jahr 2000 waren es 72 und im Jahr 2014 waren es 85 (siehe
Tab. C in Abschnitt 7 im Online-Zusatzmaterial).
Abb. 3: Zustand in den Jahren 1990 und 2014 sowie Veränderung (1990 – 2014) der landschaftsorientierten Zersiedelung
(WUPP), der einwohnerorientierten Zersiedelung (WSPC) und ihrer Komponenten (Überbauungsgrad – PBA, Flächenbedarf
pro Person bezogen auf die Einwohnerzahlen – LUPP, räumliche Verteilung der bebauten Flächen – DIS) in den deutschen
Planungsregionen (Quartilsklassifikation).
Fig. 3: Status in 1990 and 2014 and change (1990 – 2014) in landscape-oriented sprawl (WUPP), inhabitant-oriented
sprawl (WSPC) and their components (Percentage of Built-up Area – PBA, Land Uptake per Person in relation to the number of
inhabitants – LUPP, Dispersion – DIS) in the German planning regions (quartile classification).
In Bezug auf die Zersiedelung pro Kopf fällt auf, dass hohe bis sehr hohe Werte (WSPC > 18.000 UPU/Ew.) im Jahr 1990 nur in einer
Planungsregion (Stadt Emden) auftraten. Im Jahr 2000 lagen zwei Planungsregionen (Heidekreis, Stadt Emden) und im Jahr 2014
16 Planungsregionen in dieser Klasse. Die höchsten Werte im Jahr 2014 wiesen zahlreiche Planungsregionen in Niedersachsen,
Niederbayern und vereinzelt in Brandenburg (Uckermark-Barnim, Oderland-Spree), Sachsen-Anhalt (Altmark) sowie Westmittelfranken und im
Saarland auf. Die Zersiedelung pro Kopf stieg im bundesweiten Vergleich v. a. in zahlreichen ostdeutschen, niedersächsischen und teilweise
bayerischen Planungsregionen an.
In Bezug auf den Überbauungsgrad zeigt sich: Planungsregionen mit vergleichsweise hoher Zersiedelung in den Jahren 1990 und 2014
(vorrangig im Westen gelegen) wiesen im bundesweiten Vergleich auch die stärksten Zunahmen des Überbauungsgrads auf. Der Flächenbedarf pro
Person hat zwischen 1990 und 2014 gerade in Ostdeutschland und Teilen Niedersachsens die höchsten Zuwächse erfahren. Regionen, die 1990
schon durch hohe Dispersionswerte gekennzeichnet waren, bewegen sich bei der Veränderung der Dispersion im bundesweiten
Vergleich meist im unteren Bereich.
In Abschnitt 2 im Online-Zusatzmaterial werden
Zusammenhänge der Zersiedelung zwischen den Messzeitpunkten vertiefend beschrieben, u. a. mithilfe von Streudiagrammen und statistischen
Maßzahlen.
3.3 Trendänderungen der Zersiedelung in den Zeiträumen 1990 – 2000 und 2000 – 2014
Abb.4 zeigt die Veränderungen der landschaftsorientierten und einwohnerorientierten
Zersiedelung in den zwei Zeiträumen 1990 – 2000 und 2000 – 2014 auf Ebene der kommunalen Gebietskörperschaften (Gemeindeverbände innerhalb
der Planungsregionen). Das zugrundeliegende Messkonzept hierfür ist in Abschnitt 3 im Online-Zusatzmaterial dokumentiert.
Abb. 4: Veränderungen der landschaftsorientierten Zersiedelung (WUPP) und der einwohnerorientierten Zersiedelung
(WSPC) zwischen den beiden Zeiträumen 1990 – 2000 und 2000 – 2014 auf Ebene der Gemeindeverbände innerhalb der Planungsregionen
in Deutschland. Gezeigt sind die Differenzen zwischen den durchschnittlichen jährlichen Veränderungsraten (Δr).
Fig. 4: Changes in landscape-oriented sprawl (WUPP) and inhabitant-oriented sprawl (WSPC) between the two time
periods 1990– 2000 and 2000 – 2014 at the level of the municipal associations within the planning regions in Germany. The
differences between the average annual rates of change (Δr) are shown.
Für ganz Deutschland lag die jährliche prozentuale Zunahme der Zersiedelung (rWUPP;1990 – 2000) im Zeitraum 1990 – 2000
bei 1,81 % und im Zeitraum 2000 – 2014 bei 1,20 %. In Bezug auf die Zersiedelung pro Kopf zeigte sich im zweiten Zeitraum eine ähnlich
hohe jährliche prozentuale Zunahme wie im ersten Zeitraum (1990 – 2000: 1,44 % pro Jahr und 2000 – 2014: 1,31 %).
Für 1.531 der 4.470 deutschen Gemeindeverbände (ca. 34,3 %) lag die jährliche mittlere Änderung der landschaftsorientierten
Zersiedelung ebenfalls in beiden Zeiträumen auf ähnlichem Niveau. Beispiele finden sich in den Planungsregionen RVR, Regierungsbezirk
Detmold, Großraum Braunschweig, Altmark, Nordhessen und Augsburg. Beispiele für eine Verringerung im zweiten Zeitraum zeigten viele
Gemeindeverbände in den Planungsregionen Allgäu, Oberland, Südostoberbayern sowie Donau-Wald.
Der durchschnittliche Beitrag pro Ew. zur Zersiedelung hat in vielen Planungsregionen zugenommen. In 1.095 Gemeindeverbänden (ca.
24,5 %) wurde eine Steigerung der Zersiedelung pro Ew. im zweiten Untersuchungszeitraum beobachtet. Dies trifft für weite
Teile Bayerns (z. B. Oberpfalz-Nord, München) und Schleswig-Holsteins (z. B. Planungsräume I und II) zu. In 1.638 Gemeindeverbänden
(36,6 %) ist im zweiten Abschnitt des Untersuchungszeitraums eine Reduktion der einwohnerorientierten Zersiedelungsdynamik nachweisbar.
Insbesondere wird dies in den Planungsregionen Allgäu und Oberland in Bayern sichtbar. Einen mehr oder weniger gleichbleibenden Trend
weisen 1.737 (38,9 %) Gemeindeverbände auf.
Sowohl die Kartenbilder in Abb. 4 als auch eine weitere Darstellung auf Ebene der
Planungsregionen (siehe Abb. I in Abschnitt 7 im Online-Zusatzmaterial) zeigen, dass von einer deutschlandweiten Trendumkehr hin zu weniger Zersiedelung nicht zu sprechen ist,
und ergänzen die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen den beiden Zeiträumen.
4 Diskussion
Die empirischen Befunde zeigen, dass nach wie vor ein erhebliches und weiter steigendes Zersiedelungsproblem in Deutschland besteht
und dringend bessere Maßnahmen zu dessen Eindämmung erforderlich sind. Auch wenn die jährliche prozentuale Zunahme der
landschaftsorientierten Zersiedelung im Vergleich der Zeiträume 1990 – 2000 und 2000 – 2014 etwas an Intensität verloren hat (von 1,81 %
auf 1,20 %), so kann bei der jährlichen prozentualen Veränderung der Zersiedelung pro Kopf eine ähnlich deutliche Reduktion nicht
beobachtet werden (von 1,44 % auf 1,31 %). Charakteristisch für hohe Ausprägungen der Zersiedelung sind eine relativ starke Überbauung der
Landschaft (vgl. Behnisch et al. 2019), viele Siedlungsgebiete mit geringer Nutzungsdichte –
wie z. B. typische Einfamilienhausgebiete – und eine sehr disperse Verteilung der Bebauung.
Durch die Nutzung der o. g. neuen Datenprodukte ist es besser möglich, die Zersiedelungsdynamik über längere Zeiträume zu beobachten
und quantitative Grundlagen für die Bewertung der kumulativen Wirkung von Zersiedelung bereitzustellen. Quantitative Angaben getrennt nach
bestimmten Gebieten und verschiedenen Zeitpunkten ermöglichen differenzierte Aussagen darüber, wie sich die Zersiedelung in verschiedenen
Raumeinheiten zeitlich und räumlich verändert hat, und bieten Ansatzpunkte für Folgeuntersuchungen bspw. zu Einflussgrößen (driving
forces), Belastungen (pressures) und Auswirkungen (impacts) der Zersiedelung. Darüber hinaus lässt sich untersuchen, welcher Stellenwert
dem Problem der Landschaftszersiedelung in Regionalplänen und Raumordnungsprogrammen beigemessen wurde und welche Bedeutung
Planungsentscheidungen der Vergangenheit für die Ausprägung der Zersiedelung hatten (Fina
2021: 297). Weitere Anknüpfungspunkte und Vertiefungsmöglichkeiten bieten sich diesbezüglich auch zu Studien, die die Wirkungen
der Regionalplanung bei der Steuerung der Siedlungsentwicklung untersuchen (Pehlke et al.
2021; Eichhorn et al. 2022) sowie zu Urban-Growth-Management-Strategien (Bengston et al. 2004; Siedentop et al. 2016). Ein
neueres Beispiel ist die Untersuchung der Wirksamkeit von Grüngürteln zur Eindämmung der Zersiedelung in europäischen Städten (Siedentop et al. 2016; Xie et al. 2020; Pourtaherian, Jaeger 2022).
Neben der Bezugnahme auf den jeweiligen lokalen und regionalen Planungskontext sind rechtliche und sozioökonomische Rahmenbedingungen
einzubeziehen. Solche Studien zu den Einflussgrößen und Ursachen der Zersiedelung können bestehende Planungskulturen hinterfragen,
Schrumpfungs- und Wachstumsprozesse miteinander vergleichen und baukulturelle sowie geographische und naturräumliche Bedingungen
berücksichtigen (EEA, FOEN 2016; OECD 2018;
Siedentop 2018; Mahtta et al. 2019). Darüber
hinaus lassen sich Zielvorgaben und Grenzwerte erarbeiten (Schwick et al. 2018; Jaeger, Schwick 2021), um die Wirksamkeit von Instrumenten zur Eindämmung der Zersiedelung durch
Monitoring kontinuierlich einer Bewertung zu unterziehen. Auch können alternative Planungsvarianten hinsichtlich ihrer Wirkungen auf die
Zersiedelung miteinander verglichen werden, um die beste von diesen auszuwählen (Jaeger et al.
2018).
Vor dem Hintergrund einer notwendigen Nachhaltigkeitstransformation stellt sich die Frage, wie die öffentliche Problemwahrnehmung
durch Schulungsmaßnahmen und mediale Kampagnen gestärkt werden könnte. Neben der Entwicklung adressatengerechter Werkzeuge für die
Berechnung, Bewertung und Visualisierung der Zersiedelung (z. B. für Behörden und Planungsbüros) sind eine bessere Nutzung und Stärkung
der urbanen transformativen Kapazität von Städten (Wolfram et al. 2019) nötig. Sowohl
bestehende Wohnpräferenzen für gering verdichtete Wohnformen (u. a. Ein- und Zweifamilienhausgebiete) als auch Festlegungen zur
Gebäudehöhe sind zu hinterfragen (OECD 2018). Flächenausweisungen zur Generierung von
Einkommens- oder Gewerbesteuern müssen kritisch diskutiert und Verteilungsprinzipien der nationalen Steuereinahmen in ihren Folgewirkungen
auf die Siedlungsentwicklung grundlegend überprüft werden. Planungsverwaltungen und Investoren müssen für das Problem stärker
sensibilisiert und in ihren Möglichkeiten zur Eindämmung des Problems gestärkt werden.
5 Fazit für die Praxis
Das Messkonzept der gewichteten Zersiedelung (WUPP und WSPC) eignet sich, um über das persistente Problem der
Flächenneuinanspruchnahme und deren Beitrag zur Zersiedelung detaillierte quantitative Analysen von Raumeinheiten zu erstellen und die
Wirkung ergriffener Gegenmaßnahmen zu beurteilen.
Die Verfügbarkeit neuer georeferenzierter Datenquellen hat die Möglichkeiten deutlich verbessert, um die Zersiedelung quantitativ zu
erfassen und zu bewerten. Eine Abstimmung über eine allgemein anerkannte Definition der Zersiedelung in Deutschland würde die Entwicklung
entscheidungsunterstützender Werkzeuge befördern, die speziell für das Monitoring und die zielgerichtete Bewertung von Planungsvorhaben
durch Behörden und Planungsbüros konzipiert sind.
Weitaus größere Anstrengungen als bisher sind notwendig, um die Zersiedelung in Deutschland auf ein sinnvolles und intergenerationell
gerechtes Maß zu begrenzen. Die angestrebte Nachhaltigkeitstransformation erfordert für die Zersiedelung und andere persistente Probleme
wirksamere Lösungsansätze als bisher, die nicht nur auf die Politik abzielen, sondern auch auf Lernprozesse, neuartige Interaktionen,
verbesserte Planungsinstrumente und ein Experimentieren auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene.
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Dank
Der Beitrag ist im Rahmen des Projekts GeoDS – Geographische Datenwissenschaft am Beispiel der Zersiedelung entstanden. Die Studie
wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; BE4234/5-1 – Aufbau internationaler Kooperationen) und dem Leibniz-Institut für
ökologische Raumentwicklung (IÖR) unterstützt. Wir bedanken uns ganz herzlich bei Ulrich Schumacher für die Anfertigung der Karte der
Planungsregionen (Abb. F in Abschnitt 7 im Online-Zusatzmaterial). Darüber hinaus gilt unser Dank Ulrike Schinke für Vorarbeiten am kartographischen Layout.